Ob es sich nun um die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Linksregierungen seit Beginn dieses Jahrzehnts handelt oder um das „neoliberale Jahrzehnt“ Lateinamerikas in den 1990er Jahren, auf das der „Linksruck“ der Präsidenten Chávez in Venezuela, Morales in Bolivien und Kirchner in Argentinien eine Antwort war, – die beiden jüngsten Phasen der Entwicklung Lateinamerikas stehen in engerem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung des Kontinent in den vergangenen zweihundert Jahren als gemeinhin angenommen.
Somit sind anspruchsvolle Publikationen zur politischen Geschichte Lateinamerikas, die die Nationenwerdung und die Entwicklung von Diktatur und Demokratie in den Mittelpunkt stellen, auch stets bestrebt, die ökonomischen und sozialen Entwicklungen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Aus den gleichen Gründen ist auch diese Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas interdisziplinär angelegt. Wenn auch eindeutig die ökonomische Entwicklung im Vordergrund steht, ist den Wechselbeziehungen zwischen Wirtschaftlichem und Sozialem sowie von Ökonomie und Politik gebührend Platz eingeräumt worden.
Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler konzentriert sich – um der kompakten Form Rechnung zu tragen – in seiner Darstellung auf das Gemeinsame der Wirtschaft der meisten lateinamerikanischen Staaten. Er beleuchtet die Herausbildung und Durchsetzung des Export-Import-Systems, das auf dem Tausch der Naturprodukte Lateinamerikas gegen Fertigwaren der Industrienationen beruhte und das die Wirtschaft der lateinamerikanischen Staaten während des gesamten 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts prägte. Dieses Modell wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts von einer von Industrialisierungsbestrebungen getragenen Wirtschaftspolitik der Importsubstitution abgelöst. Mit der internationalen Schuldenkrise Anfang der 1980er Jahre jedoch, die den Kontinent besonders hart traf, kehrte Lateinamerika zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, d. h. der Wiederbelebung des Export-Import-Systems zurück.
Das Buch wendet sich nicht allein an professionelle Lateinamerikaforscher, sondern bewusst auch an den heutzutage verhältnismäßig großen Kreis derer, die an der Geschichte Lateinamerikas Interesse zeigen. Personen- und Sachverzeichnisse erleichtern den Zugriff.
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Ob es sich nun um die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Linksregierungen seit Beginn dieses Jahrzehnts handelt oder um das „neoliberale Jahrzehnt“ Lateinamerikas in den 1990er Jahren, auf das der
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